Andreas Pinczewski
Square
Die Sammlung Marli Hoppe-Ritter 2005
Museum Ritter Waldenbuch
Auf den ersten Blick könnte man Andrea Neumans Bildobjekt für eine Behandlung formaler Fragestellungen halten. Aus einer in kräftigem, dunklem Pink monochrom bestrichenen Leinwand hat die Künstlerin kleine Quadrate herausgeschnitten, so dass sich schließlich ein nahezu regelmäßiges, netzartiges Raster mit breitem Rand ergibt, das über einen Keilrahmen gespannt ist. Die buchstäbliche Öffnung der Bildfläche hin zum dahinter liegenden Raum, die Verwandlung der an sich zweidimensional zu denkenden Malerei in ein dreidimensionales Objekt, die Generierung eines zweiten Rasters durch den Schattenwurf der zerschnittenen Leinwand und die optische Täuschung einer Farbaufhellung an den Kreuzungspunkten des Rasters lösen ein reichhaltiges Spiel mit Kategorien der Wahrnehmung aus, deren wichtigste die Frage nach Figur und Grund ist. So wird der Bildträger als der letzte Grund durch den Eingriff mit dem Messer plötzlich zur Figur auf der Wand als dem eigentlichen Träger, während gleichzeitig das Raster das von ihm bedeckte Stück Wand vom Rest der Wand abschneidet und deren Weiß zum Teil des Bildes wird. Der Raum teilt sich in mehrere Ebenen, von denen manche faktisch, manche nur optisch zu verstehen sind und ihre Wertigkeit miteinander austauschen. Letztlich stellt sich daher die Frage, wer hier auf wen zugreift: Gibt das Netz den Blick auf die Wand frei, oder verstellt es diesen nicht eher? Negiert sich die Malerei zu Gunsten des Raumes oder okkupiert sie ihn nicht vielmehr, hält ihn sprichwörtlich in ihrem Netz gefangen und eignet ihn sich als den Ihrigen an? Das ein solches Verständnis von Malerei als Akteur, und zwar durchaus auch mit sozialer Dimension, im Werk von Andrea Neuman denkbar ist, legt auch ein Vergleich mit ihren anderen Werken nahe. Neben den Leinwandnetzen und reinen Tafelbildern arbeitet Neuman mit Übermalungen von Fotografien und in ihren Grafiken mit aus figurativen Elementen generierten Mustern. All diesen Arbeiten ist gemeinsam, dass sich in ihnen Verfahren der Überlagerung, der Ver-Stellung und der Schichtung manifestieren. Metaphorisch kann man die sich über die Bildfläche legenden Muster und malerischen Strukturen als Handlungsmatrizen bezeichnen, die die darunterliegenden Ebenen ihrem eigenen System unterwerfen. Daher kann man auch Netze VI nicht nur als formal-ästhetische Übung begreifen, sondern als eine Reflexion der Künstlerin über den Menschen als „zoon politikon“ in seiner Determinierung durch ihm von außen auferlegte Strukturen, seien sie nun ästhetisch oder sozial.